Die Akku-S-Bahn im Eichsfeld

Offiziell wurde die sogenannte "Heeresversuchsanstalt Peenemünde", also die Raketen- und V-Waffen-Produktion unter Wernher von Braun, erst im Januar 1945 von der Insel Usedom in den Raum Nordhausen (am Harz) verlegt. Allerdings sind diverse Entwicklungsabteilungen bereits im Jahr 1944 ins Eichsfeld verlegt worden. So zogen bspw. die "Elektromechanischen Werke" Karlshagen i.Pommern nach Großbodungen um. Mit dem Werksumzug gelangten die ehemals auf Usedom im Werksverkehr der Raketenversuchsanstalt eingesetzten Akku-Triebwagenzüge nach Großbodungen und wurden auf der Anschlussstrecke zum Kaliwerk Neu-Bleicherode stationiert und mit einem grünen Tarnanstrich versehen.
Die ehemaligen Peenemünder Werksbahnzüge verkehrten nun zwischen Bleicherode Ost und Großbodungen, vermutlich sogar bis Zwinge im öffentlichen Personenverkehr (quasi wie beim Peenemünder Werksverkehr als eine Art "S-Bahn").

Bau der Bahnstrecke Bleicherode-Herzberg

Die erste, zwei Kilometer lange Abschnitt der Eisenbahnstrecke durchs nördliche Eichsfeld wurde am 30. September 1908 zwischen Bleicherode Ost und Großbodungen fertiggestellt. Einer der beiden Gründe für den Bau der Stichstrecke war, dass die Stadt Bleichrode einen näher am Ortszentrum gelegenen Bahnhof bekommen sollte, da der Ostbahnhof an der Hauptstrecke Halle - Kassel weit entfernt lag. Auch die Eröffnung mehrerer Kaligruben und die Ausweitung des Kalibergbaus im nördlichen Eichsfeld begünstigten den Fortschritt der Planungen für einen neue Eisenbahnverbindung.1908 erhielt dann als erstes das Kaliwerk Neu-Bleicherode Anschluss an die neue Strecke.

Im Oktober 1910 erfolgte die Eröffnung der Verlängerung der Bahnstrecke von Großbodungen nach Bischofferode um weitere drei Kilometer. Der Bahnbau sollte möglichst günstig gehalten werden, vor allem preiswerte Arbeitskräfte aus Polen und Italien wurden angeheuert. Die Gelädearbeiten durchs hügelige Eichsfeld waren zudem recht kompliziert. Es kam zu mehreren schweren Unfällen auf der Baustelle.
Am 31. Oktober 1911 wurde dann der 13 Kilometer lange Abschnitt zwischen Bischofferode, Zwinge und Herzberg fertiggestellt. Die Baukosten für die 41 Kilometer lange Gesamtstrecke betrugen sieben Millionen Mark.Der letzte Bauabschnitt gehörte zu den teuersten und aufwändigsten Strecken: Es mussten im hügeligen Gelände viele Brücken und Tunnelbauwerke errichtet werden.

Neben dem bereits erwähnten Kaliwerk Neu-Bleicherode wurden auch die Schächte Weidtmannshall Bischofferode und die Althaus-Schächte in Kleinbodungen ans Bahnnetz angebunden.

Einstellung des Bahnverkehrs

Während der DDR-Zeit und nach der Wende wurde diese Strecke allerdings komplett stillgelegt: Nach der innerdeutschen Grenzziehung wurde die Strecke zwischen Zwinge und Herzberg stillgelegt. Zwinge lag nun ohnehin im Sperrgebiet. Für den Güterverkehr hatte die Strecke zwischen Bischofferode und Zwinge ohnehin keine Bedeutung mehr und der Personenverkehr wurde soweit ausgedünnt (ohnehin auch wegen der Restriktionen der "Bewegungsfreiheit" im grenznahen Gebiet), sodass man den Personenverkehr auf der Strecke 1972 zwischen Zwinge und Bischofferode eingestellte und gegen Autobusverkehr austauschte.

Im Jahre 1976 wurden noch in den Bahnhöfen Bleicherode (Stadt) und Bischofferode moderne Relaisstellwerke sowjetischen Bautyps eingeweiht. Dies war die letzte größere Investion in die Strecke.
Im Jahre 1998 wurde dann der Bahnbetrieb zwischen Bischofferode und Großbodungen aufgegeben. Das Kaliwerk war in den 1990er Jahren geschlossen worden und somit hatte die Strecke weder für den Personen- noch für den Güterverkehr eine derartige Bedeutung, die erforderliche Modernisierungsmaßnahmen gerechtfertigt hätte. Im Jahre 2001 wurde der Betrieb auf dem Abschnitt zwischen Großbodungen und Bleicherode Ost eingestellt.


<- Bf Bischofferode, 2015

Bf Großbodungen (beide), 2015

Bf Bleicherode (Stadt), 1908

Bf Kleinbodungen, 1908

Bf Großbodungen, 1908

Auf der Seite "Vergessene Bahnen" von Reiner Schruft finden Sie Bilder der stillgelegten Streckenabschnitte:

» Bleicherode Ost <> Großbodungen
» Großbodungen <> Stöckey
» Stöckey <> Zwinge

Quellen:

Kuhlmann, Bernd: Die Akku-Triebzüge der ehemaligen Werkbahn Zinnowitz-Peenemünde. In der Zeitschrift "modelleisenbahner", Ausgabe 4/1990. VEB transpress Verlag

Lauerwald, Paul: Die Eisenbahnstrecke Bleicherode - Bischofferode (- Herzberg) in Vergangenheit und Gegenwart. Broschüre 1983, Institut für Geschichte der Universität Erfurt.